Annika Varadinek, Bantabaa Food Dealer
Wenn man Annika trifft, muss man einfach überwältigt sein von ihrem Energielevel. Sie ist eine echte Macherin. So habe ich sie auch kennengelernt: Als ich noch darüber nachgedacht habe, ein Social Business zu gründen, das geflüchtete Menschen in der Gastronomie ausbildet, machte sie das schon. So kam ich dazu, sie für einige Zeit pro bono zu beraten und lernte ihre Geschichte kennen.
Eigentlich sah alles nach einem klassischen Karriereweg aus
Eigentlich sah bei Annika alles nach einem klassischen Karriereweg aus: Sie studierte Jura, und bereitete sich auf einen Job als Anwältin vor. Doch kurz vor Ende ihrer Studien, das halbe Examen in der Tasche, kam ihr die Erkenntnis: Eigentlich möchtest Du etwas anders machen. Kurzerhand brach sie ihr Studium ab und wechselte in ein viel stärker Service-orientiertes Feld: Sie wurde Flugbegleiterin.
Ihre Geschichte erzählte mir Annika – passend – in der Bantabaa Suppen Bar. Lies hier die Bewertung.
„Ich bin eine Service-Person. Für mich war der Job perfekt: Es war, als wenn ich in den Urlaub fliege und dafür auch noch bezahlt werde,“ erzählt sich lachend, während wir vor ihrer Bantabaa Fooddealer Suppen Bar sitzen. „Vor einigen Wochen bin ich nach Thailand geflogen – um ehrlich zu sein, am liebsten hätte ich mitgearbeitet, anstatt nur als Passagierin dort zu sitzen.“
Und weil sie die Service-Branche und Gastronomie liebt, aber eben auch ihre Heimatstadt Berlin, startete Annika – nachdem sie die Welt beflogen hatte – bei einem großen deutschen Limonadenhersteller im Vertrieb. Mit Menschen in Kontakt kommen, zügig und an mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten – die optimale Umgebung für sie. Und irgendwie fing diese ganze Bantabaa Sache auch so an.
Ein Café aufmachen? Annika musst in drei Tagen entscheiden
Irgendwann 2015 fragte eine ihrer Kundinnen aus dem Blauen heraus, ob sie nicht ihr Café in Kreuzberg übernehmen wolle. Die Sache war: Annika musste innerhalb von drei Tagen entscheiden. „Du kennst mich ja. Ich habe nicht lange gezögert, eine Nacht drüber geschlafen und gesagt: Let’s do it!“
Ihr neu erworbenes Café lag direkt am Görlitzer Park, ihrem Kiez – und Berlins bekanntestem Drogenumschlagplatz. Männer, vor allem aus Gambia und Guinea-Bissau, die keine Aussicht auf eine Arbeitserlaubnis haben, versuchen dort ein wenig Geld zu verdienen. Fünf Euro pro Tag sind typischer Lohn für diesen gefährlichen „Job“.
Während sie ihr Café renovierte, kam Annika mit einigen der Dealer in Kontakt und verstand schnell: Viele von ihnen sind keine Kriminellen, sondern haben ansonsten keine andere Möglichkeit. „Zwei von den Jungs haben einfach ihre Hilfe angeboten und angefangen mit uns das Café zu renovieren. Ich habe mir gedacht: Wenn die einen normalen Job bekämen, würden sie nicht einmal darüber nachdenken, Drogen im Park zu verkaufen,“ sagt Annika, während sie ihre Suppe löffelt.
Ex-Dealer für einen Job im Gastro-Bereich fit machen
Und auf einmal ging alles ganz schnell damals: Annika fand heraus, dass einer der Jungs obdachlos war und im Park schlief. Sie entschied kurzerhand ihm einen Schlafplatz in ihrer Wohnung anzubieten und einen Job im neu eröffneten Café. Und sie entwickelte die Idee von Bantabaa Food Dealer: Geflüchtete Menschen, größtenteils Ex-Dealer aus dem Görli, für einen Job im Gastro-Bereich fit machen. Wobei, das fügt Annika hinzu, sie wisse von ihren Mitarbeitern gar nicht unbedingt, ob sie Dealer gewesen seien: „Ich interessiere mich nicht für ihre Vergangenheit. Was für mich zählt, ist ihr Einsatz. Natürlich haben viele mal als Dealer gearbeitet. Aber bei Bantabaa zählt die Zukunft.“
Zunächst setzte sie Geflüchtete in der Küche ihres Cafés ein, eröffnete dann einen Pop-Up-Store für Second-Hand-Klamotten, komplett geführt von Geflüchteten. 2017 startete dann die Bantabaa Suppen Bar, in der es Deutsch-Französisch-Gambische Fusion Cuisine gibt. Rund 20 Geflüchtete arbeiten inzwischen bei Bantabaa Food Dealer, größtenteils mit einem afrikanischen Background. Neben der Vorbereitung auf den Deutschen Arbeitsmarkt, bekommen sie Deutschkurse, gegeben von Freiwilligen aus dem Kiez, Rechtshilfe und – falls notwendig – medizinische Unterstützung. „Das ist der Job, den ich immer machen wollte: In der Gastro arbeiten und einen sozialen Impact haben,“ sagt Annika und lächelt.
Ihre Geschichte erzählte mir Annika – passend – in der Bantabaa Suppen Bar. Lies hier die Bewertung.
Doch über die letzten vier Jahre hat sie auch sehr viel gelernt. „Zuallererst habe ich gelernt, wie deutsch ich eigentlich bin: Pünktlich und sehr direkt. Ich musste lernen, dass meine Direktheit Menschen aus einem anderen kulturellen Background verletzen kann. Heutzutage versuche etwas sensibler zu sein – auf der anderen Seite haben die Jungs auch gelernt, dass meine direkten Ansagen nicht böse gemeint sind. Ein typisches interkulturelles Learning auf beiden Seiten.“
Auch die besten Macher brauchen einen Plan bevor sie handeln
Ihr zweites Learning: Es ist gut, eine Macherin zu sein, aber auch die besten Macher brauchen einen Plan bevor sie handeln. „Meine Natur ist es, Dinge einfach anzufangen. Aber im Rückblick kann ich sagen, wenn ich einen richtigen Business Plan und eine echte Marktrecherche gehabt hätte, hätte mir das bei meinem ersten Café sehr geholfen und Dinge schneller gemacht.“ Daraus lernte sie: Während der Umbau ihres ersten Cafés noch vier Monate dauerte, brauchte sie beim zweiten nur noch drei Wochen. „Auf der anderen Seite: Wenn ich Menschen treffe, die nur planen und planen und planen, sage ich ihnen ‚Jetzt fangt mal einfach an!’“
Gerade ist der nächste Geschäftszweig bei Bantabaa Food Dealer angelaufen: Frische Fertigsuppen die in Büros in der Umgebung geliefert werdem; die sogenannten Lunchboxes. Eine Alternative zu den Fertig-Produkten aus dem Supermarkt. „Mehr und Mehr Firmen bestellen bei uns – dieses Liefer-Modell ist unser nächster Schritt.“ Und dann? „Die lokalen Supermärkte natürlich!“ Und während wir an diesem Tag im September unseren Lunch bei einem Kaffee ausklingen lassen, bin ich mir sicher, dass Annika auch dieses Ziel mit der richtigen Mischung aus Machen und Planen erreichen wird.
Mehr Informationen zur Bantabaa Food Dealer findest Du hier: bantabaa.de/projekte/bantabaa-food-dealer/