People: Dirk Müller-Remus, Diversicon und auticon
Um es ganz am Anfang zu sagen: Ich glaube, Dirk ist ein Visionär. Er hört das nicht gerne, aber ich weiß, dass es so ist, denn ich habe vier Jahre sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Dirk ist Gründer von auticon und Diversicon.Mit ihm treffe ich mich im Café Hardenberg auf einen Kaffee – terminlich hat es sonst einfach nicht geklappt. Aus dem einen Kaffee werden dann drei, denn Dirk hat in seinem Berufsleben schon einiges erlebt…
Dirk habe ich im Café Hardenberg getroffen – lies hier die Bewertung.
Seine Karriere startet er als Software Entwickler und Projektmanager bei Siemens in den achtziger Jahren. Er ist glücklich, dort zu arbeiten, und wie es so läuft, soll er nach einigen Jahren ins Münchner Headquarter befördert werden. „Man wollte mit mir eine schöne Karriere bauen – finanziell wäre das natürlich nett gewesen,“ erinnert sich Dirk. „Aber dann sagte mir mein damaliger Vorgesetzter, dass ich in einer Abteilung arbeiten werde, die RIOI IS26 heißt – an diesem Punkt habe ich verstanden: Das bist nicht Du. Hier wirst Du untergehen…“
Also machte Dirk eine große Entscheidung: Er blieb in Berlin und begann bei einem Telekommunikationsunternehmen zu arbeiten. Zunächst in den Bereichen Interne Revision und Organisationsentwicklung, später als CIO und dann als Geschäftsführer der ausgegliederten IT-Abteilung. Die Firma war ein typischer Fall der West-Deutschem Subventionspolitik. Solange Berlin geteilt war, wurden die Produkte in West-Berlin exorbitant bezuschusst – doch als die Mauer fiel, waren die Subventionen weg und die Firma in echten Schwierigkeiten. „Meine Learnings: Selbst wenn Du wirklich gute Leute auf der zweiten Ebene hast; Solange die erste Reihe mutlos und unkreativ ist und wenn es keine Vorstellung gibt, wie man die Zukunft entwickelt, wird ein Unternehmen nicht überleben.“
Ein Wechsel der Potentiale freisetzt
Nach zwölf Jahren – mit 47 – verlässt Dirk das Unternehmen. „Vier Jahre zu spät. Aber das war ein anderes Learning: Manchmal bin ich vielleicht etwas zu optimistisch. Ich habe gedacht, dass die Firma es doch noch schafft.“ Auf der anderen Seite setzt dieser Wechsel neue Potentiale frei: Dirk beginnt als CEO eines kleinen Medizintechnik-Unternehmens, das innovative Produkte für Schlaganfallpatienten produziert, die in ihrem Sehvermögen beeinträchtigt sind.
Doch schon bald versteht er, dass die US-Mutter des Unternehmens vor allem daran interessiert ist, das Business „aufzupumpen“ und einen baldigen, profitablen Exit hinzulegen. Doch bevor das überhaupt passieren kann, überraschte die Finanzkrise 2008 die Wirtschaftswelt und wischte das Mutterunternehmen von der Bildfläche. Als Geschäftsführer hat Dirk nun hart zu kämpfen, um die deutsche Tochter am Leben halten zu können.
„Das war verdammt knapp“
Das Problem: Alle Patente und viele andere Assets liegen in den USA. Fast ein halbes Jahr verbringt er nur mit der Suche neuer Investoren, ohne zu wissen, wie sich das Geschäft entwickeln wird. „Ich hatte bereits die Papiere, um Insolvenz anzumelden, in meiner Schublade.“ Dann, zwei Tage bevor er sie tatsächlich einreichen will, unterzeichnet ein Investor. „Das war verdammt knapp,“ erinnert sich Dirk und nimmt einen Schluck vom Kaffee.
Zur gleichen Zeit hat ein anderes Ereignis großen Einfluss auf Dirks Leben: Eines seiner vier Kinder, sein Sohn Ricardo, wird mit Asperger Autismus diagnostiziert. Dirk fängt an, Ricardos manchmal etwas sonderbares Verhalten zu verstehen – aber auch seine herausragenden Stärken: Als die beiden zum Beispiel einmal gemeinsam bei MTV Usher zuschauen, springt Ricardo plötzlich auf und ahmt die Tanzschritte eins zu eins – er hatte das Video zum ersten Mal gesehen. Und Dirk versteht das sehr logische und analytische Denken seines Sohns.
Diese Erkenntnisse bringen ihn – Dirk, den Visionär – dazu, über ein radikal neues Business Modell nachzudenken: Was, wenn IT-Firmen diese Skills nutzten und so Arbeitsplätze für Menschen schafften, die es ansonsten schwer haben auf dem ersten Arbeitsmarkt? Und er findet heraus, dass es sowohl in Dänemark (Specialisterne), als auch in Belgien (PassWerk) bereits Firmen gibt, die dieses Model verfolgten. Ab 2011 entwickelten sich die Pläne rapide: Als ein zunächst angedachter Franchise-Deal mit Specialisterne platzte, entscheidet sich Dirk auf eigene Faust loszulegen. Der in München ansässige Social Venture Fund ist der erste Seed-Investor. auticon, die erste IT-Beratung, die ausschließlich Menschen im Autismus-Spektrum als Consultants beschäftigt, ist geboren.
„Selbst, als die Zeiten schwierig waren, habe ich an die Idee geglaubt“
Doch auticon zu starten war nicht so einfach, wie wir damals dachten (und an diesem Punkt darf ich „wir“ sagen, da ich 2012 zu auticon stieß). Die Medien und viele Stakeholder sind begeistert von dem Konzept – und dennoch stehen die Kunden nicht gerade Schlange. Wichtigstes Learning für Dirk damals: „Die Menschen im Autismus-Spektrum, die bei uns starteten, mussten bereits IT Kenntnisse mitbringen. Zu Beginn hatten wir ja gedacht, dass ihre herausragenden Stärken in Logik, autistische Menschen automatisch für das Programmieren prädestinieren würde. Das war ein Missverständnis. Doch selbst, als die Zeiten schwierig waren, habe ich immer an die Idee von auticon geglaubt.“ Inzwischen ist auticon an sechs deutschen Standorten sowie in London und Paris aktiv.
„Gleichzeitig hatte ich immer das Gefühl, dass etwas fehlen würde,“ erzählt Dirk bei einem weiteren Kaffee. Und so entwickelte er die Idee für sein nächstes Social Business: Diversicon. „Mit Diversicon wollen wir Menschen im Autismus-Spektrum außerhalb des IT-Bereichs in den Arbeitsmarkt integrieren,“ erklärt Dirk. Das Konzept: Ausbilden, fit machen für den Arbeitsmarkt und im Rahmen von Zeitarbeit bei den Kunden anstellen. Das Ziel: Die autistischen Mitarbeiter sollen langfristig vom Kunden übernommen werden.
Während auticon noch als klassisches For-Profit-Unternehmen aufgestellt ist, agiert Diversion als gemeinnützige GmbH. Das machte es auch schwieriger, um echtes Seed-Investment zu finden. „Viel stärker als bei klassischen Start-Ups mögen es Impact-Investoren, erste Umsätze und Strukturen bei Social Start-Ups zu sehen. Das macht es viel schwieriger, Venture Capital einzutreiben.“
Ein Idealist, der gerne neue Wege ausprobiert
Aber Dirk wäre nicht Dirk, wenn er nicht auch hierfür eine Idee hätte. Mit Companisto, einer Crowdinvestment-Plattform, hat er den passenden Partner gefunden, um Diversicon 2017 zu starten. „Das war eine ziemlich unorthodoxe Lösung: Wir sind das erste Social Business, dass per Companisto finanziert wird.“ Innerhalb von 5 Wochen hatte Diversion 500.000 Euro eingesammelt. 641 Personen sind nun investiert – zum Teil sogar einige Investmentfonds. „Zum Glück haben nicht alle meine direkte Durchwahl…“lacht Dirk. „Diese Investment Strategie hat auf der einen Seite einen großen Vorteil, weil man so eine breite Masse an Investoren erreicht. Auf der anderen Seite muss man in diesem Fall auch die Admin-Kosten miteinberechnen, die mit einem solchen Investment einhergehen und zusätzlich zum eingesammelten Geld hinzukommen.“
Dirk habe ich im Café Hardenberg getroffen – lies hier die Bewertung.
Und in den nächsten Jahren? „Ich war gerade im Urlaub und habe über einige nächste Schritte nachgedacht. Die Idee wird sein, nicht nur Menschen im Autismus-Spektrum zu integrieren, sondern alle Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Potentiale zu entfalten – beispielsweise Menschen mit ADHS. Aber das Konzept ist noch nicht fertig.“
Ist er ein Visionär? „Also, ich mag dieses Wort nicht. Es wird zu inflationär mit dem Begriff Visionär umgegangen. Ich halte mich selbst für einen kreativen, manchmal idealistischen Menschen, der gerne neue Wege ausprobiert.“ Wie auch immer wir ihn nennen wollen: Dirk ist jemand, der an seine Träume glaubt – und, vielleicht noch viel wichtiger, diese auch wirklich realisiert. Das kann ich Euch sagen.
Lies hier mehr über auticon und Diversion:
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