People: Sven Lager, Sharehaus Refugio und Autor
Obwohl wir uns erst vorletztes Jahr persönlich kennengelernt haben, kenne ich Sven schon viel länger: Mit achtzehn war einer von Svens Romanen mein Lieblingsbuch. Dass ich einmal mit ihm zusammenarbeiten würde, hätte ichmir damals nicht vorstellen können. Sven bezeichnet sich selbst als Künstler – aber er ist mehr: Er ist mit seiner Frau Elke Gründer der Sharehauses.
Die Idee eines Sharehauses ist, dass Menschen unter einem Dach ihr Wissen teilen, gemeinsam neue Projekte entwickeln und, wenn möglich, sogar zusammen leben können – egal, welchen Hintergrund sie haben. Und das ist es, was Sven an der ganzen Idee begeistert. Er und seine Frau Elke haben das Konzept vor einigen Jahren in Südafrika entwickelt.
Mit Sven war ich im Minty in Berlin-Prenzlauer Berg
Nicht helfen, sondern voneinander lernen
Im Jahr 2014 fragte dann die Berliner Stadtmission, ob sie Interesse daran hätten, ihr Sharehaus-Konzept zu erweitern. Natürlich waren sie das und so bauten sie das Sharehaus Refugio in Berlin-Neukölln auf. Es ist ein Ort, an dem Menschen aus aller Welt zusammenleben und arbeiten – viele von ihnen sind Flüchtlinge. Das Konzept sollte jedoch nicht missverstanden werden, um jemandem zu helfen, sondern um voneinander zu lernen – das betont Sven während unseres Mittagessens.
Nun, um Sven, den Künstler, und seinen Weg besser zu verstehen, fangen wir etwas früher an: Nach der Schule studierte er Deutsch und Geschichte, aber weil ihn sein erster Job schon früh in den Journalismus führte, schloss er das Studium nie ab. Mit einer Freundin fing er an, bei Berlins erstem privaten und alternativen Radiosender zu arbeiten: Radio 100.
Schon bald erschien „Phosphor“, sein allererstes Buch von vielen, die dann folgten – und mein Lieblingsroman damals. An mehreren seiner Bücher arbeitete er mit seiner Frau Elke, auch sie Autorin und Journalistin. Die beiden zogen Mitte der Neunziger mit ihren Kindern zunächst für einige Jahre nach Thailand, dann nach Südafrika. „Dort hat es wirklich geklickt“, sagt Sven, während er seinen Vorspeisensalat isst. Und so blieben sie über zehn Jahre.
Ohne Demut für die kleine Dinge, wirst du keine großen Pläne verwirklichen
In Südafrika war es auch, dass das erste Sharehaus geboren wurde. Zuerst entwickelten beide die Idee eines Co-Working-Hauses in Kapstadt. „Wir hatten ein ganz bestimmtes, leerstehendes Haus im Auge und wollten dafür extra in die Stadt ziehen. Wegen fehlender finanzieller Mittel kam das Haus jedoch nie zum Leben,“ erinnert sich Sven. An diesem Punkt entschieden sie sich, das Konzept dennoch zu starten – allerdings auf einer kleineren Ebene: Menschen zusammenzubringen und sie zu motivieren, Projekte zu starten. Ohne großes Haus. Es entstand ein kleines Sharehaus, in dem Wissen und Erfahrung ausgetauscht wurden. Professionelle Fotografen, eine DJ, Musiker, eine Filmemacherin gaben Workshops vor allem für junge Leute. „Ich habe viel gelernt, vor allem eines: wenn du keine Demut und Liebe für die kleinen Dinge hast, wirst du auch keine großen Pläne verwirklichen.“
Was ist seine Motivation im Leben? „Ich probiere gerne neue Dinge aus, vor allem mit dem Potential, das schon vorhanden ist”, antwortet Sven. „Das ist einfach, wenn man Autor ist, aber viel schwieriger, wenn man ein Team führt. Durch die Sharehäuser habe ich eine wichtige Sache gelernt: Man muss den Menschen gut zuhören. Wenn Du ein Team leitest und sich jemand über seine Situation beklagt, musst Du schnell verstehen, warum. Orientiert sich die Arbeit nicht an den Talenten der Person? Dann musst Du eine bessere Rolle für diese Person finden. Oder ist die persönliche Einstellung das Problem? Wenn das der Fall ist, dann wird auch eine neue Rolle diesen Menschen nicht glücklicher machen.“
Man braucht eine lebendige Nachbarschaft
Auf den ersten Blick mag das Sharehaus nicht als typisches Social Business erscheinen. Aber Sven erklärt es als mehrstufiges Modell anhand der Möglichkeiten im Refugio, in dem Geflüchtete statt in Notunterkünften in eigenen Ein-Zimmer-Wohnungen leben und in dem zudem Social Enterprises und NGOs ihre Büros haben.
„Es kommt natürlich auf das Haus an: Erstens Im Idealfall wird das Geld durch Mieten verdient, die das Haus finanzieren; Zweitens, wenn freie Flächen vorhanden sind, kann ein Café oder eine Veranstaltungssaal mehr Einnahmen bringen – aber es sollte nicht die Haupteinnahmequelle sein; Drittens braucht man eine lebendige Nachbarschaft im und ums Haus – sonst wird es kein neues Geschäftsmodell mit gesunden Partnerschaften wie zum Beispiel dem syrischen Paar, das im Haus lebt und ein eigenes erfolgreiches Cateringunternehmen gestartet hat. Dieses wiederum wird dann bei eigenen Veranstaltungen genutzt. Alles hängt von den Menschen ab, die im Haus leben. Das macht es zu etwas Besonderem für die Bewohner, aber auch für die Besucher.“
„Nothing about us without us is for us“
Und während Sven mir das alles erzählt, kommen mir Dinge wie „USP“ und „Upscaling“ in den Sinn. Als ob er es lesen könnte, fährt Sven fort: „Unsere Idee war immer, Sharehäuser zu vervielfältigen.“ Deshalb hat Sven das Sharehaus Refugio 2017 nach zwei Jahren verlassen: „Ich weiß, dass ich derjenige bin, der das Feuer entfacht und mit den Menschen verbunden bleibt, aber nicht derjenige, der ein Haus mehrere Jahre lang leitet. Das musste ich auch lernen.“ Und Sven erzählt mir noch eine weitere seiner Erfahrungen der letzten Jahre: Groß träumen, aber einen Schritt nach dem anderen zu machen.
„Als wir mit dem Sharehaus Refugio begannen, waren alle ein wenig überwältigt von der Aufmerksamkeit der Medien, die uns entgegengebracht wurde. Das Haus, der Eventteil, das Café und die Zusammenarbeit mit neuen Organisationen – das war großartig aber manchmal etwas zu viel für den Anfang“, resümiert Sven. „Meine zweite große Erkenntnis aus dieser Zeit: Es gibt Zeiten, in denen man zuhören und mit Menschen reden muss, um gut zu planen, und es gibt auch Zeiten, in denen man alleine Entscheidungen treffen muss. Nicht alles kann besprochen werden. Wie in jedem anderen Unternehmen braucht man eine wenn auch flache Hierarchie und Menschen, die gut Entscheidungen treffen können – aber es ist wichtig, dass man transparent bleibt und immer wieder alle im Boot holt.“
Und zum Ende unseres Lunches, gibt mir Sven noch einen Satz mit auf den Weg, den er in Südafrika gelernt hat: „Nothing about us without us is for us (Nichts über uns ohne uns ist für uns)“. Und bringt das nicht die ganze Idee eines Sharehauses auf den Punkt?
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