People: Leon Reiner, Impact Hub Berlin
Man kann Leon kaum übersehen. Nicht nur wegen seiner enormen 2,02 Meter – sondern vor allem, weil er einer der treibenden Akteure in der Social Business Szene ist.
Wir treffen uns im Café MadaMe in Kreuzberg. Seines Zeichen selbst ein Social Enterprise. Draußen einer der wenigen sonnigen Berliner Dezembertage. Drinnen eine bunte Mischung aus Mittagstischlern, Handwerkern und Anwohnern. „Hier gehe ich eigentlich immer gerne hin. Es ist gleich um die Ecke vom Impact Hub und einer der wenigen progressiven Orte im Kiez,“ erzählt Leon, als wir uns setzen. Freundlich grüßt ihn das Personal hinter der Theke.
Im Anschluss an sein Studium in VWL und Entwicklungspolitik in Wien kam Leon nach Berlin. „Mich hat immer interessiert, warum manche Länder reich, manche arm sind – und wie man das ändern kann. Aber Entwicklungshilfe war kein Bereich, in dem ich arbeiten wollte,“ erinnert er sich und führt weiter aus: „Ich hatte aber nie Lust, in andere Länder zu gehen und dort zu erzählen, wie es besser laufen kann.“
Ein Treffen mit Muhammad Yunus war wie ein Erweckungserlebnis
Ein Zusammentreffen mit Muhammad Yunus in Wien war fast wie ein Erweckungserlebnis für ihn: „Für mich war auf einmal klar, dass Sozialunternehmertum genau das vereint, was ich für sinnvoll erachte. Der Gedanke, dass Menschen Probleme, die sie betreffen, selbst anpacken, hat mich begeistert.“ Auf einmal stand sein Berufswunsch fest: Social Enterprise Berater. Und so kam Leon nach Berlin: Zuerst als Praktikant, dann als Mitarbeiter und Berater half er beim Aufbau des Social Impact Labs mit, dem ersten Inkubator für Social Entreprises in Berlin. Parallel gab er mit einem Bekannten Unikurse: „How to become a Social Entrepreneur?“.
Seiner geplanten Doktorarbeit kam dann die Gründung des Impact Hubs dazwischen. Die Idee: Leon und seine Mitgründerinnen wollten ein Ökosystem für Social Enterprises schaffen und alle Akteure unter einem Dach vereinen. Das weltweite Netzwerk der inzwischen über hundert Impact Hubs war optimal für ihren Ansatz. Mit Hochdruck, aber neben ihren eigentlichen Jobs, arbeiteten die drei an ihrer Idee. Nach einem halben Jahr, in dem sie zwar viel erreicht, doch noch sehr weit entfernt waren von ihrem Ziel, erkannten sie „Wenn wir ernst machen wollen, müssen wir unsere Jobs kündigen“. Die zweite Erkenntnis: Alle anderen Projekte müssen auf „on hold“. „Wir sahen ein, dass wir der Reihe nach einen Business Plan und einen Corporate Pitch entwickeln, eine Community aufbauen und eine Immobilie finden müssen“.
„Vielleicht, ist das der Zeitpunkt, an dem wir aufhören müssen.“
Eine große Unterstützung war in dieser Phase der Mentor und Mitgründer Martin Hobler, selbst ein erfahrener Unternehmer. Doch trotz aller Planungen, aller neuen Finanz- und Finanzierungspläne, aller Netzwerkarbeit wollte das Unterfangen Impact Hub nicht so richtig abheben. „Nix stand so wirklich, wir hatten keine Immobilie, aber viel Zeit und privates Geld verbrannt,“ erinnert sich Leon. „Vielleicht, so dachten wir, ist das einfach der Zeitpunkt, an dem wir aufhören müssen.“ Sogar einen Abschiedsbrief an die Community hatten die drei schon geschrieben.
Zum gleichen Zeitpunkt lief ein anderes Impact Hub vom Stapel, und zwar in München. Das wirkte wie ein extra Motivator: „Wenn die das in einer Stadt wie München schaffen, dann werden wir doch wohl einen Hub in Berlin auf die Beine stellen können.“ Und statt ihres Abschiedsbriefes posteten die drei ein „Fuck-Up“-Posting auf Facebook. Alle Rückschläge und Learnings, die sie in den vergangenen Monaten gemachten hatten, listeten sie auf.
Die Reaktion auf diesen ehrlichen Umgang mit Fehlern war überwältigend: in wenigen Stunden war das Posting viral gegangen, viele alte und neue Unterstützer boten ihren Support an. Doch am wichtigsten: Das Agora Collective in Berlin-Neukölln schrieb ihnen. „Wollt ihr es nicht einfach bei uns probieren? Wir haben aktuelle eine Fläche frei.“
„Das hätte auch ein Aprilscherz sein können“
Am 1. April 2013, einen Tag nach der Hub-Eröffnung in München, setzten die drei dann ein weiteres folgenreiches Posting ab. Im Nachhinein beschreibt es Leon so: „Wir waren uns der Ironie schon bewusst, dass es auch ein Aprilscherz hätte sein können und dachten uns: Wenn ins Verderben, dann mit einem breiten Lachen…“ In dem zweiten Facebook-Post stand: „Der Impact Hub Berlin öffnet demnächst seine Türen“, dabei hatten sie noch gar keinen Mietvertrag unterschrieben, keine Inneneinrichtung und eigentlich stand nicht viel mehr als vorher. Nur das lose Angebot vom Agora.
Doch auch auf diesen Post war die Reaktion enorm: In kurzer Zeit hatten sie über dreißig Anfragen von Personen und Organisationen, die bereit waren, als zahlende Impact Hub-Member in den neuen Space einzuziehen. Und auf einmal ging alles ganz schnell: Innerhalb von zwei Monaten zogen die ersten Member ein und auch der zweite Teil des Konzepts, die Gründungs- und Skalierungsberatung, kam zum Fliegen. Schnell war der Hub voll, der erste Mitarbeiter eingestellt und klar, dass eine eigene Immobilie hermusste. Einen Tag vor Weihnachten 2014, war die Unterschrift unter den Vertrag gesetzt. Die Räume im Agora platzten längst aus allen Nähten.
„Das ist eine scheißharte Arbeit“
„Parallel lief eine Crowdfunding-Kampagne, bei der wir über vierzig tausend Euro einsammelten, ein Investorenfundraising über 150 tausend Euro, die normale Hub- und Beratungsarbeit. Und zusätzlich lebten wir noch größtenteils von unserem privaten Ersparnissen. Das war eine wahnsinnig intensive Zeit. Das kann man mal für einen gewissen Zeitraum machen, aber nicht für immer,“ erzählt Leon beim Espresso nach unserem Lunch und fügt lachend hinzu: „Gründen ist kein Sprint, das ist ein Marathon… Ich habe Start-Up Floskeln nie gemocht, aber es ist schon auch etwas Wahres dabei.“
Seine Learnings aus dieser Zeit kann er sehr gut benennen: Erstens sollte man wissen, dass man am Anfang einer solchen Gründung alles selbst machen muss. Vom Flyerfalten bis zum Investorengespräch. Zweitens: „Das ist eine scheißharte Arbeit“. Drittens: Man sollte sich und seinen Partnern gegenüber ehrlich sein. Oft sitzt man am Anfang am kürzeren Hebel. Wenn man das offen zeigt, kann das jedoch eine gestärkte Verhandlungsposition bedeuten. Viertens: Man muss lernen „Nein“ zu sagen. „So einfach das klingt – das ist es nicht. Am Anfang versucht Du alles, um etwas Kohle zu verdienen.“
Und das letzte Learning: Man braucht einen Plan B. „Wir haben uns gedacht, wenn es nix wird, dann machen wir eben einen Club daraus.“ Zum Glück ist Berlin ein weiterer Club erspart geblieben und dafür ein einzigartiges Hub im Herzen der Stadt entstanden, das Social Entrepreneurs ein Zuhause, eine Startrampe und ein Netzwerk bietet.
Hier findest Du die Impact Hub Berlin stuck un-stuck story:
https://de.slideshare.net/ImpactHubBerlin/impact-hub-berlin-stuck-unstuck-moments
Und hier ein Video vom betterplace labtogether 2014 zu Produktiv Scheitern